01
Ideenpool und Haltung

 
 

Kapitel 1
Gute Gründe zum Handeln

Kapitel 2
Städte der Zukunft

 

Der Klimawandel stellt die grösste und unmittelbarste Bedrohung dar.

Für die Umwelt, die Menschen, die Tiere und die Pflanzen.

Die Konsequenzen des Klimawandels sind global und lokal spürbar – und das jedes Jahr nachteiliger. In Europa gab es im Hitzesommer 2003 geschätzte 50’000 Hitzetote. Wie der Weltklimarat im Juli 2021 bekannt gab, hat die Hitze als Todesursache der Kälte den Rang abgelaufen. In Berlin werden bereits durchschnittlich fünf Prozent aller Sterbefälle in Verbindung mit Hitze gebracht. Für unmöglich gehalten hat man auch Temperaturen von 46 Grad – wie im Juli 2021 in Kanada gemessen.

Gleichzeitig werden vielerorts die städtische Artenvielfalt und die Standortattraktivität gefördert. Städtisches Grün soll bei der Innenverdichtung als ergänzende Aufwertung und nicht als Gegenspieler funktionieren. Das ist für eine visionäre und nachhaltige Stadtentwicklung von grosser Wichtigkeit. Die Vorteile der Stadtnatur sind immens: Sie zu fördern ist für die Lebensqualität und die Gesundheit der Bevölkerung wie auch für die kindliche Entwicklung unabdingbar.

 


 

Ganzheitliche Verdichtung

 
 

Städte sind der Lebensraum der Zukunft.

Durch Bebauung, vermehrtes Verkehrsaufkommen und den Klimawandel wird es jedoch immer heisser in den Kernräumen. Naturnahe Grünräume verschwinden – und mit ihnen die Stadtnatur. Unter dem Vorwand von «urbaner» Innenverdichtung werden die letzten innerstädtischen Bäume gefällt. Die Folge sind Hitzeinseln oder ganze Hitzebänder. Eine unmittelbare und nachhaltige Linderung versprechen überzeugende Grünstrukturen. Damit werden auch die städtische Artenvielfalt und die Standortattraktivität gefördert.

Städtisches Grün soll zur Innenverdichtung vielmehr als ergänzende Aufwertung und nicht als Gegenspieler funktionieren. Beides ist für die visionäre und nachhaltige Stadtentwicklung von grosser Wichtigkeit. Die Vorteile von Stadtnatur sind immens: Sie zu fördern ist für die Lebensqualität und die Gesundheit der Bevölkerung sowie die kindliche Entwicklung unabdingbar.

 

Grünraumgerechtigkeit

 
 

Zufrieden in den Hanglagen, fehlendes Wohlbefinden in der Talsohle.

Eine St. Galler Bevölkerungsumfrage aus dem Jahr 2009 weist auf fehlendes Wohlbefinden entlang der Talsohle hin. In den Hügellagen lebt es sich offenbar zufriedener und erholter. Dies lässt sich auf die mangelnde Begrünung respektive auf die fehlende Anbindung an attraktive Freiräume erklären. Hochwertiger Grün- und Freiraum darf nicht nur exklusiveren Wohnquartieren in Form des eigenen Gartens vorbehalten sein, sondern muss Menschen in allen Vierteln zur Verfügung stehen.

Eine solidarische Begrünungsoffensive soll zu einer verbesserten Gesundheit und Lebensqualität für alle Bewohnerinnen und Bewohner von St. Gallen führen. Denn graue Quartiere korrelieren mit höherer Kriminalität und erhöhtem Gesundheitsrisiko, während Grünräume diese Effekte mindern oder ins Positive umkehren. Nah gelegener und qualitativ hochwertiger grüner Aussenraum ist besonders für die gesunde Entwicklung von Kindern von hoher Dringlichkeit.

 

 
 

01
Ideenpool und Haltung

 
 


Kapitel 1
Gute Gründe zum Handeln

Kapitel 2
Städte der Zukunft

 

Städte der Zukunft: Wir nehmen euch mit auf eine Reise…

…und besuchen einige Modellvorhaben in Städten, die uns beeindruckt haben. Medellín, Wien, Milano, Zürich und Baden: Sie alle haben in den letzten Jahren intensiv in eine grüne Zukunft investiert.

 

Medellín

 
 

30 Grüne Korridore für Medellín — ähnliche Topografie wie St. Gallen

Die kolumbianische Vier-Millionen-Metropole liegt auf 1500 m ü.M., entlang dem Rio Medellín auf einer Nord-Süd-Achse. Sie ist beidseitig von Hügeln umgeben. Im ersten Beitrag der Best-Practice-Serie lernen wir von Medellín, wie mit der Pflanzung von Bäumen stark befahrene Verkehrsachsen um 2 bis 3 Grad gekühlt werden können. Und wir wagen einen Quervergleich mit St. Gallen und seiner ähnlichen Topografie.

Medellín, die einst gefährlichste Stadt der Welt, kämpft heute gegen neue Gefahren: Steigende Temperaturen, ausgelöst durch den Klimawandel. Das Bürgermeisteramt von Medellín gilt dabei als äusserst innovativ. Mit dem Grossprojekt «30 Corredores verdes» begrünt es derzeit 18 Strassenzüge und legt 12 Parks entlang von städtischen Gewässern an. Das Projekt kostet umgerechnet rund 13 Millionen Franken.

Bis 2020 wurden zwei Hektar Asphalt zu Grünflächen umgewandelt. 20’000 Bäumen und Hunderttausende Büsche, Sträucher und Blumen werden gepflanzt und verbessern nachhaltig die Luftqualität, senken die Temperatur und schaffen neuen Lebensraum für Vögel, Insekten und Kleintiere.

Heute, nach Fertigstellung der meisten Korridore, atmet es sich an den Hauptverkehrsachsen bereits spürbar besser und die Temperatur konnte nachweislich um zwei bis drei Grad gesenkt werden.

Jeder graue Flecken wird begrünt, um die Grossstadt Medellín lebenswerter zu machen. (Foto: privat)

 

Für den Stadtpark «Parques del Rio» wurde die Autobahn in den Untergrund verlegt. Der Park verbindet die Stadtviertel links und rechts vom Fluss über Fussgängerwege . (Foto: privat)

Das Flagship-Projekt unter den grünen Korridoren ist der im Dezember 2019 fertiggestellte Stadtpark «Parques del Rio». Ein Teil der Autobahn, die entlang dem Rio Medellín verläuft, wurde dafür in den Untergrund verlegt. Darüber wurde eine grosszügige Parkanlage angelegt – eine Oase für Mensch und Natur inmitten der hektischen, verkehrsüberlasteten Grossstadt.

Auch der Boulevard «La Playa» im Zentrum von Medellín wurde 2019 in eine verkehrsberuhigte Flaniermeile zurückgebaut. Als die Baufirma die alten Bäume für das Bauvorhaben fällen wollte, protestierte die Bevölkerung. So wurde der Baumbestand inventarisiert und lückenlos erhalten. Einziger Wermutstropfen: Der Bach, der unter der «Playa» verläuft und früher oberirdisch floss, konnte nicht aus dem Untergrund geholt werden.

Die stark befahrene «Avenida Oriental» wird mit jedem Tag grüner. Aus einem grauen Mittelstreifen ist ein grüner Gürtel geworden, der nachweislich kühlend wirkt. (Foto: privat)

Ein weiterer grüner Korridor verläuft mitten durch die Stadt: Die sechsspurige «Avenida Oriental» bekam ebenfalls im Jahr 2019 einen bunt bepflanzten Mittelstreifen, wo mitten im Verkehrschaos Schmetterlinge flattern und Vögel pfeifen. Der Effekt des grünen Korridors ist messbar: Die Temperatur ist auch hier heute um zwei bis drei Grad kühler als vorher.

Der Langsamverkehr hat in Medellín Priorität. Fussgänger/innen und Velofahrer/innen gehören heute zum Stadtbild. (Foto: privat)

Für das Projekt der «30 Corredores verdes» hat die Stadt den «Ashden Award 2019» gewonnen. Besonders ausgezeichnet wurde das umfassende Konzept: Die Begrünung schützt nicht nur Velofahrende und Fussgänger/innen vor der Hitze, sondern sorgt auch für reinere Luft an verkehrsreichen Strassen und wirkt gegen die Überhitzung der Stadt. Ein weiterer positiver Effekt: Benachteiligte Menschen – viele davon Flüchtlinge aus ländlichen Gebieten Kolumbiens oder aus Venezuela – werden zu Stadtgärtnerinnen und Stadtgärtnern ausgebildet. Sie pflegen die Beete und haben dadurch ein sicheres Auskommen für ihre Familien.

 

Baden

 
 

Baden gewinnt mit 5 Grünprojekten den Wakkerpreis — Was schafft St. Gallen?

Im zweiten Beispiel der Best-Practice-Serie machen wir einen Spaziergang durch Baden und wagen auch hier einen Quervergleich mit St. Gallen. Unser besonderes Augenmerk gilt der weitsichtigen Neugestaltung von Strassen und Plätzen. Der Schweizer Heimatschutz hat die Stadt Baden dafür 2020 mit dem Wakkerpreis ausgezeichnet.

Wer an Baden denkt, denkt an historische Bäder, eine schöne Altstadt und Stau. Tatsächlich kämpft die Kleinstadt mit 19’000 Einwohner/innen mit dem Verkehr. Einige Kreuzungen im Stadtzentrum passieren 50’000 Autos pro Tag. Kaum jemand weiss indes, dass Baden bereits seit vielen Jahren beharrlich in die Aufwertung von Plätzen und Strassenräumen investiert. Die Grundlage dafür bilden eine klare Vision, Zielbilder und ein Verkehrskonzept, das die Stadt in einem partizipativen Verfahren und mit Einbezug verschiedener Partner erarbeitet hat.

An der Weiten Gasse, wo sich früher Autos, Busse und Menschen um den beschränkten Platz stritten, wird heute flaniert, in Cafés gesessen und eingekauft. (Foto: Schweizer Heimatschutz)

Der Schweizer Heimatschutz macht die Vorbildfunktion von Baden nun für die ganze Schweiz sichtbar. Er attestiert der verkehrsgeplagten Kleinstadt, sie habe mit klugen Investitionen in öffentliche Freiräume Lebensqualität zurückgewonnen. «Auch wenn sie die nationale und kantonale Verkehrsplanung nur sehr beschränkt beeinflussen kann, hat sie bei der hohen Verkehrsbelastung nicht resigniert, sondern ein eigenes, starkes Bewusstsein für den Wert ihrer öffentlichen Freiräume entwickelt», schreibt der Heimatschutz in seiner Würdigung.

Hinter der Verwandlung von Baden steckt viel Arbeit: Die Stadt hat über Jahre weitsichtig in die Verkehrsberuhigung und die Steigerung der Lebensqualität investiert. Die sicht- und erlebbaren Qualitäten sind laut Heimatschutz das Resultat einer vorausschauenden Politik, einer kontinuierlichen Planung und dem Willen der Stimmberechtigten, Geld zu sprechen für eine attraktive Innenstadt.

Der neue Theaterplatz am Rand der Innenstadt wurde durch den Bau eines Parkhauses im Untergrund ermöglicht, auf dessen Dach sich der Platz heute erstreckt. (Foto: Schweizer Heimatschutz)

Wer schon länger nicht mehr in Baden war, wird gleich bei der Ankunft am Bahnhof eine Überraschung erleben: Der Bahnhofplatz erstrahlt in neuem Glanz. Aus dem ehemaligen «Blinddarm» – einer tristen Unterführung – ist ein lebendiger Platz geworden, der den Reisenden den Weg in die Altstadt weist. Wir machen einen Abstecher in den historischen Kurpark im Bäderquartier. Dort bewundern wir den beachtlichen Baumbestand, der sorgsam gepflegt wird. Diese grüne Lunge bietet Mensch und Tier Erholung und eine hohe Aufenthaltsqualität. Als nächstes spazieren wir auf der Promenade der Limmat entlang zum Theaterplatz. Was für eine Überraschung! Aus dem einst grauen Parkplatz ist ein grosszügiger Sandplatz mit jungen Linden geworden. Das Parkhaus wurde dafür in den Untergrund verlegt. Hier gibt es Platz für Festivals, festliches Ambiente vor dem Theater, samt Aussicht über die Limmat und die Rebberge.

Der Kurpark entstand zur Blütezeit des Kurbetriebes am Ende des 19. Jahrhunderts. Heute ist er ein gepflegter, grosszügiger Erholungsraum mit beachtlichem Baumbestand für die gesamte Bevölkerung. (Foto: Schweizer Heimatschutz)

Weiter geht es durch die Altstadt zur Weiten Gasse. Noch schwach erinnern wir uns daran, dass sich hier einst Autos und Busse stauten. Heute flaniert man durch die verkehrsbefreiten Gassen, geht einkaufen und trinkt draussen Kaffee. Sogar der regionale Busverkehr wurde aus der Weiten Gasse verbannt. Am Ende der Weiten Gasse erreichen wir den Schulhausplatz, im Volksmund auch bekannt als «Piazza Insalata». Hier brausen im Schnitt 50’000 Autos pro Tag vorbei. Eine hohe Belastung für die Stadt. Doch auch für diese Problemzone haben die Badener eine ungewöhnliche Lösung gefunden: Eine neue, unterirdische Passage für Fussgänger/innen und den Langsamverkehr verbindet die Vorstadt mit der Innenstadt. Ein Brunnen, schattenspendende Bäume, Bänke und Kunst werten die Passage auf und lassen fast vergessen, dass sich oben drüber der Verkehr staut.

Der 2003 eröffnete Trafoplatz ist Treffpunkt und offener Veranstaltungsraum auf dem Areal der einstigen BBC. In den kommenden Jahren wird er um den benachbarten Brown-Boveri-Platz ergänzt. (Foto: Pierre Marmy/Schweizer Heimatschutz)

Unser nächster Halt liegt etwas ausserhalb des Stadtzentrums, beim ehemaligen «Alten Stadtfriedhof». Durch das Wachstum der Stadt lag der Friedhof plötzlich mitten in einem Wohn- und Arbeitsgebiet. Die geschützte Gartenanlage wurde 2013 mit viel Gespür in einen Quartierspielplatz und Erholungsort umgewandelt. An diesem lebendigen Kernstück eines Viertels an der Peripherie, spürt man stark, warum Baden den Wakkerpreis mehr als verdient hat: Mit jeder Verdichtung schafft die Stadt neue, hochwertige Freiräume für die Bevölkerung. Ein solcher neuer Freiraum ist auch der 2003 eröffnete Trafoplatz hinter den Bahngleisen. Hier fand in den letzten Jahrzehnten eine starke Verdichtung statt. Der Quadratmeter ist in diesem Entwicklungsareal besonders wertvoll, denn die Nutzung würde viel Gewinn bringen. Die Stadt fand aber, dass eine qualitätsvolle Verdichtung nur gelingen kann, wenn die Bevölkerung im Gegenzug hochwertige Freiräume erhält. Sie wertete den Trafoplatz zu einer grünen Lunge auf. Sie wird als nächstes auch den nahegelegenen Brown-Boveri-Platz zum Freiraum machen. Es ist sehr wichtig, öffentliche Freiräume in Entwicklungsgebieten zu sichern, bevor diese verbaut werden und die wichtigen Strukturen auflösen.

Der «Alte Stadtfriedhof» liegt inmitten der wachsenden Wohn- und Arbeitsgebiete. Die geschützte Gartenanlage bekam 2013 eine neue Bestimmung als ruhigen Erholungsort und Quartierspielplatz. (Foto: Schweizer Heimatschutz)

 

Zürich

 
 

Zürich, bald die grünste Stadt der Schweiz? —Gleiche Herausforderung für St. Gallen

Das dritte Beispiel der Best-Practice-Serie zeigt Vorbilder aus Zürich. Die Stadt erklärt Grün- und Freiräume zur obersten Priorität und geht damit die Probleme des Klimawandels aktiv an. An Strassenzügen und auf Plätzen entstehen kleine und grosse Oasen der Biodiversität. Der Mut und die Investitionen zahlen sich aus: Zürich gilt seit Jahren als eine der lebenswertesten Städte der Welt und verfügt über eine enorme Anziehungskraft.

In den nächsten Jahren erhält Zürich 40 Hektaren zusätzliche Grünflächen. Dafür sollen ein Teil der öffentlichen Parkplätze abgebaut oder in den Untergrund verlegt werden. Öffentliche Parkplätze «verbrauchen» derzeit noch 50 Hektar Fläche. Bauminseln, Hecken, Bachdurchlässe, Promenaden und Alleen sollen die Asphaltflächen durchbrechen und wie natürliche Klimaanlagen wirken.

Im Sommer 2019 wurde der Münsterhof im Rahmen eines Kunstprojekts temporär begrünt. Inzwischen ist er umgebaut. (Foto: zVg Stadt Zürich)

Damit die Bäume auf dem Sechseläutenplatz jedes Frühjahr spriessen können, braucht es den besonderen Einsatz von Grün Stadt Zürich. Die grüngewandeten Männer und Frauen von der «grünen Dienstabteilung» des Tiefbauamts sind mit Sägen, Scheren und schwerem Gerät am Werk. Sie entfernen abgestorbene Bäume und Wurzeln und pflegen die gesunden Exemplare. Seit der Eröffnung des 2014 neu gestalteten Platzes hat sich die Versorgung der Bäume mit genügend Wasser als besondere Herausforderung herausgestellt. Sie litten unter der starken Nutzung des Platzes, den verdichteten Oberflächen, dem tiefen Grundwasserspiegel und dem heissen Sommer 2018. Nun installieren die Gärtner/innen neue Bewässerungssysteme, damit hier junge Bäume eine neue Heimat finden. Diese Sanierung ist den Zürcher/innen 1,2 Millionen Franken wert.

Der Münsterhof wurde dank der grünen Fläche 2019 uur zentralen Erholungszone. (Foto: zVg Stadt Zürich)

Bäume, Büsche, Sträucher und Wiesen werden in Zürich wie geschätzte Bewohner/innen behandelt. Man trägt ihnen Sorge, bewässert sie in trockenen Sommern, lässt ihnen Raum zum Wachsen und pflegt sie bei Verletzungen. Das ist nicht selbstverständlich. Es braucht viel Sensibilität für den Nutzen der grünen Schwerstarbeiter, die die Luft reinigen und Sauerstoff produzieren, Schatten spenden, bei Überhitzung kühlen und Wohlbefinden fürs Auge stiften. Dieses Bewusstsein brachte Richard Wolff mit. Bis vor kurzem Stadtrat und Vorsteher des Tiefbauamts, hatte er eine klare Vision: Zürich will das Label «Grünstadt Schweiz» erhalten. Das Zertifikat wurde von der Vereinigung Schweizerischer Stadtgärtnereien und Gartenbauämter 2012 gegründet; es wird vom Bundesamt für Umwelt BAFU unterstützt. Kleine und grössere Orte können sich bewerben. Luzern, Winterthur, Ecublens, Basel, Schaffhausen, Degersheim und Morges sind bereits zertifiziert.

Am Vulkanplatz in Zürich-Altstetten werden neue Bäume gepflanzt, welche die Aufenthaltsqualität für Mensch und Tier verbessern und gegen die Überhitzung wirken. (Foto: zVg Stadt Zürich)

Wolffs Plan, um die Ziele zu erreichen: Noch mehr Grünflächen, Velowege und Tempo 30-Zonen schaffen. Dazu wurde der Strassenraum kurzerhand zum «Freiraum» deklariert. Zürich will die spärlich vorhandenen Flächen möglichst effizient nutzen. Das Tiefbauamt ist mit Hochdruck an der Umsetzung und realisierte allein im Jahr 2020 über hundert neue Projekte. Damit wuchs die Anzahl der Projekte in Bearbeitung auf über 500.

Mit seiner Vision stiess Stadtrat Wolff nicht überall auf offene Ohren, doch er liess sich nicht beirren. Es war ihm wichtig, gegen den Klimawandel etwas zu tun, damit Zürich auch in Zukunft eine hohe Aufenthaltsqualität gewährleisten kann. In den nächsten Jahren erhält Zürich 40 Hektaren zusätzliche Grünflächen. Dafür sollen ein Teil der öffentlichen Parkplätze abgebaut oder in den Untergrund verlegt werden. Öffentliche Parkplätze «verbrauchen» derzeit noch 50 Hektar Fläche. Bauminseln, Hecken, Bachdurchlässe, Promenaden und Alleen sollen die Asphaltflächen durchbrechen und wie natürliche Klimaanlagen wirken.

Ein Beispiel für eine gelungene Intervention ist das unterirdische Parkhaus am Helvetiaplatz, mit dessen Eröffnung die oberirdischen Parkplätze aufgehoben wurden. Das schafft Platz für eine Begegnungszone, gut zwei Dutzend neue Bäume und Sitzbänke.

Der Max-Bill-Platz ist ein zentraler Begegnungsort und Erholungsraum im neu entstandenen Quartier nördlich des Bahnhofs Oerlikon. (Foto: zVg Stadt Zürich)

Ein weiteres Beispiel für eine neu geschaffene Begegnungszone ist die Begrünung des Max-Bill-Platzes in Neu-Oerlikon. Grün Stadt Zürich hat hier 25 Bäume gepflanzt, eine Kiesfläche durch eine Wiese ersetzt und dem Platz so eine hohe Aufenthaltsqualität zurückgegeben. Ein weiteres Begrünungsprojekt war der Münsterhof in der Altstadt.

Der Turbinenplatz ist Zürichs grösster Stadtplatz. Hier gibt es zwei Baumfelder in Kiesflächen, Sitzelemente, Brunnen mit bepflanztem Versickerungsbecken und einen grossen Betonplatz. (Foto: zVg Stadt Zürich)

Zürich braucht auch eine nachhaltigere Mobilität. Seit Jahren wird im Rahmen der Strategie Stadtverkehr 2025 in den ÖV, in Fuss- und Velowege investiert. So konnte ein Anstieg der Fuss-, Velo- und ÖV-Frequenzen gemessen werden, während der motorisierte Individualverkehr stagnierte. Weitere 110’000 Stadtbewohner/innen sollen von der Lärmbelastung befreit werden – mit zahlreichen neuen Tempo-30-Zonen.

Die Parkplätze am Helvetiaplatz wurden in den Untergrund verlegt, um den Platz zu einem Ort der Begegnung zu machen. (Foto: zVg Stadt Zürich)

Privatpersonen nehmen bei der Begrünung einer Stadt eine wichtige Rolle ein. Deshalb hat Grün Stadt Zürich das Projekt «Mehr als Grün» lanciert. Der Anteil ökologisch wertvoller Flächen im Siedlungsgebiet soll auf dem heutigen Niveau von rund zehn Prozent bleiben. Um das Ziel zu erreichen, ermuntert die Stadt Private, ihre Aussenräume zu begrünen und damit Lebensraum für Insekten, Tiere und Pflanzen zu schaffen. Wer aus einer versiegelten Fläche eine Grünfläche macht, kann mit einem Beitrag der Stadt von 10 Franken pro Quadratmeter (max. 5’000 Franken) rechnen.

Jede mögliche Fläche wird genutzt, um mehr Grün in die Stadt zu bringen, wie hier das Tramtrassee an der Badenerstrasse. (Foto: zVg Stadt Zürich)

 

Entlang der Lagerstrasse wurde eine Allee mit 86 Linden gepflanzt. Die Bäume werden in ein paar Jahren das Strassenbild prägen. (Foto: zVg Stadt Zürich)

 

Wien

 
 

Wien rollt den grünen Teppich aus

Für das vierte Beispiel unserer Best-Practice-Serie besuchen wir Wien. In der österreichischen Hauptstadt ist jeder zweite Quadratmeter eine Grünfläche. Zusammen mit der Bevölkerung sucht die Stadt nach Trottoirs, Dachterrassen, Fassaden und Innenhöfen, die sich in Gärten und soziale Begegnungsräume umwandeln lassen.

Wien ist ein Grossstadtdschungel im wahrsten Sinne des Wortes. Die Stadtregierung hat das möglich gemacht, was kaum eine andere Stadt schafft: 53 Prozent der Stadtfläche sind begrünt. An dieser Quote hält die Stadtregierung auch bei zunehmender Verdichtung eisern fest, denn sie weiss, dass sie jetzt handeln muss, um die negativen Folgen des Klimawandels auffangen zu können. Wien hat im Rahmen des Stadtentwicklungsplans STEP 2025 eine umfassende Grünraumstrategie («Fachkonzept Grün- und Freiraum») entwickelt. Diese folgt der Maxime, dass eine sozial gerechte Stadt auch eine Grünraumgerechtigkeit braucht. Sprich: Hochwertiger Grün- und Freiraum darf nicht nur exklusiveren Wohnquartieren vorbehalten sein, sondern muss Menschen in allen Vierteln zur Verfügung stehen.

Grüne Fassaden wirken bei heissen Temperaturen wie natürliche Klimaanlagen. (Foto: Wiener Wasser, Novotny)

Einen Grünraum für ein Bauprojekt opfern? Kommt in Wien nicht in Frage. Entsteht ein neues Stadtquartier, werden im gleichen Atemzug Grün- und Freiräume angelegt. Bereits versiegelte Bestandsflächen wie alte Fabriken oder Bahnhofareale werden neu genutzt. 2020 begannen beispielsweise die Bauarbeiten für den neuen 9,3 Hektar grossen Park am Nordbahnhof mit Stadtwildnis und urbanen Terrassen. Initiiert wurde die Stadtwildnis Nordbahnhof von der IG Lebenswerter Nordbahnhof, die das Thema proaktiv aufgegriffen hat. Hier entsteht ein Naturreservat mitten in der Stadt, wo geschützte Tiere wie die Wechselkröte einen Lebensraum finden.

Überall entstehen Kleinstgärten und urbane Aufenthaltsräume, die für eine hohe Lebensqualität in der Stadt sorgen. (Foto: David Bohmann / PID)

Das von 2011 bis 2013 entwickelte STEP 2025 ist seit 2014 auch integraler Teil der Smart City Wien Rahmenstrategie. Das langfristige Ziel bis 2050 ist es, die hohe Lebensqualität unter Schonung der Ressourcen zu erhalten und den CO2 -Verbrauch pro Kopf zu senken. Die österreichische Hauptstadt bereitet sich damit auf heissere Temperaturen und trockenere Sommer durch den Klimawandel vor.

Die Arbeitsgruppe Klimastrategie vereint alle politischen Fraktionen sowie die Vorsitzenden der relevanten Ausschüsse. Sie trifft sich in kurzen Abständen, holt immer wieder Experten/innen ins Boot und stellt sicher, dass die Begrünungsprojekte rasch voranschreiten.

Dächer werden zu Biotopen und Gärten. Sie kühlen die darunter liegenden Gebäude und bieten Raum für urbane Biodiversität. (Foto: Pendl / MA 22)

In der ganzen Stadt entstehen neue, begrünte Velo- und Fusswege, Baumalleen an Verkehrsachsen, grüne Fassaden und Pflanzeninseln, die immer mehr zu Korridoren zusammenwachsen. Auch das Umland vom Wienerwald bis zu den Donau-Auen wird in den grünen Gürtel einbezogen. Der grüne Teppich zieht sich durch ganz Wien und sorgt für eine hohe Lebensqualität und Biodiversität im urbanen Raum.

Wien hat erkannt, dass die Schwarm-Energie ein sehr effizientes Mittel ist, um an Agilität zu gewinnen. Die Stadtregierung muntert deshalb die Wiener/innen und Wiener dazu auf, ihre Innenhöfe, Dächer und Fassaden eigenständig zu begrünen. Der Funke ist übergesprungen und Urban-Gardening-Projekte schiessen wie Pilze aus dem Boden. Die Stadt unterstützt die privaten Projekte grosszügig mit Beratung und Geld.

BeRTA kann schnell und kostengünstig an einer Fassade installiert werden. Die Bewohner/innen giessen die Pflanzen. Einmal pro Jahr kommt der Profi. (Visualisierung: GRUENSTATTGRAU)

Private Innenhöfe in den Gründerzeitvierteln eignen sich für Begrünungsprojekte besonders gut, denn sie erfüllen mehrere Funktionen: Sie bieten Raum für biodiverse Mikrofreiräume und werden von den Bewohner/innen liebevoll gepflegt. Gleichzeitig sind Innenhöfe Begegnungsorte: Hier gärtnern die Nachbarn miteinander, hier trifft man sich zum Spielen und schafft ein Gemeinschaftsgefühl. Besonders ältere Menschen und Familien mit kleinen Kindern finden über den Innenhof Zugang zu ihren Nachbarn und verbringen Zeit in der Natur.

Auch Dachterrassen und Balkone sind ideale Orte für grüne Oasen. Hoch oben auf Flächen, die bislang brachlagen, helfen Pflanzen, die Temperatur im darunter liegenden Gebäude zu regulieren. So wurde das 400 Quadratmeter grosse Kiesdach des Amtsgebäudes der Wiener Umweltschutzabteilung in eine Wiese verwandelt. Der Dachgarten bietet Lebensraum für Kleinstlebewesen, speichert Regenwasser und wirkt wie eine natürliche Klimaanlage.

Auch Kletterpflanzen wie die Mauerkatze oder Wilder Wein können Fassaden vor Überhitzung schützen. So hat die Stadt Wien das Programm «50 grüne Häuser» lanciert und das BeRTA-Modul entwickelt, um Fassaden rasch und kostengünstig zu begrünen. Der Pflanztrog mit Rankhilfe kann innert Minuten vor der Hausfassade platziert werden. Die Hausbewohner/innen und Hausbewohner giessen die Tröge regelmässig, einmal pro Jahr werden die Pflanzen vom Profi gepflegt.

Europameister: Laut dem aktuellen Grünraummonitoring sind 53 Prozent der Fläche der Millionenstadt Wien Grünraum. Nur knapp 30 Prozent der Fläche sind versiegelt. (MA 22)

Die Stadtregierung ist sich dem Wert der Stadtnatur für Mensch und Tier bewusst und begrünt strategisch. Grünräume regulieren nicht nur das Stadtklima, reinigen die Luft und binden Staub, sondern haben auch eine soziale Funktion. Im Park, auf einem Boulevard, in einer Quartierstrasse oder auf dem Spielplatz trifft man sich, tankt Kraft und hält sich in der Natur auf.

Wer keinen Garten, keine Terrasse oder keinen Innenhof zum Begrünen hat, kann trotzdem einen Beitrag leisten. Die Stadt Wien und die Lokale Agenda 21 Wien haben gemeinsam «Grätzloase» ins Leben gerufen. Wer eine Idee zur Verschönerung eines öffentlichen Raums hat, reicht sie unkompliziert ein und bekommt Unterstützung bei der Umsetzung. In der ganzen Stadt gibt es bereits unzählige «Grätzloasen» auf Trottoirs, Vorplätzen, in Quartierstrassen oder Hinterhöfen.

Wien ist in vielerlei Hinsicht ein Vorbild, denn die Stadt macht vorwärts. Seit zehn Jahren wird sie regelmässig zur lebenswertesten Stadt der Welt gekürt. Und das soll auch so bleiben.

 

Mailand

 
 

Mailand schliesst den grünen Ring

Mailand, die Stadt der Mode und wirtschaftlicher Motor Italiens, leidet unter der starken Luftverschmutzung. Die Stadt unternimmt einiges, um die Luftqualität zu verbessern: 2014 setzte der Architekt Stefano Boeri mit dem visionären «Bosco verticale» ein Zeichen. Seither ist der Wille zur Begrünung ungebrochen: Bis 2030 investiert Mailand in drei Millionen Pflanzen und den «Fiume verde», einen grünen Korridor entlang von sieben brachliegenden Güterbahnhof-Arealen.

Der «Bosco verticale» ist Mailands neues Wahrzeichen und Symbol für den Wandel. Der Mailänder Architekt Stefano Boeri hat zwischen 2009 und 2014 hinter der Stazione Milano Porta Garibaldi ein visionäres Wohnprojekt mit einer grünen Fassade realisiert und damit gezeigt, wie nachhaltiges Wohnen in verdichteten Städten funktionieren kann. Die beiden Hochhäuser mit den versetzt platzierten Balkonen erinnern an Kommoden, aus denen jemand alle Schubladen herausgezogen hat. Auf den Balkonen wachsen 800 Bäume und 20’000 Pflanzen.

Der «Fiume verde» ist ein weiteres Grossprojekt aus dem Hause Stefano Boeri Architetti. Auf brachliegenden Arealen werden neue Grünräume geschaffen. (Visualisierung: Stefano Boeri Architetti)

Zwei Agronominnen haben die Pflanzen sorgfältig ausgewählt und in einer Baumschule gezüchtet. Neben immergrünen Arten wachsen hier Buchen, gelbe Akazien, Eichen, Ahorne, Eschen, Farne und Efeu. Der vertikale Wald entspricht einer Fläche am Boden von 20’000 Quadratmetern. Die Bäume in den Pflanztrögen sind schon auf mehrere Meter angewachsen, die Fassade scheint ganz von den Pflanzen eingenommen zu sein. Der vertikale Wald ist nicht nur eine Oase für die Bewohner/innen, sondern auch ein Lebensraum für 20 Vogelarten, die sich hier einen Teil der Grossstadt zurückerobert haben.

Der vertikale Wald erfüllt mehrere Funktionen: Er schafft ein Mikroklima, produziert Feuchtigkeit, kühlt das Gebäude von aussen, filtert Feinstaub aus der Luft, produziert Sauerstoff und schluckt 30 Tonnen CO2 pro Jahr. Boeris Team ist mit Hochdruck daran, das Erfolgskonzept der vertikalen Begrünung in anderen Städten der Welt umzusetzen, zum Beispiel in San Marino (A garden for Europe), Kairo (Vertical Forest) und Cancun (Smart Forest City).

Entlang von sieben Güterbahnhöfen entsteht ein grüner Korridor. Eine Überlandbahn entlang dem grünen Ring wird den einfachen Zugang für die Bevölkerung ermöglichen. (Visualisierung: Stefano Boeri Architetti)

Um die Luftqualität in Mailand weiter zu verbessern, will die Stadt bis 2030 in drei Millionen Pflanzen investieren. Experten schätzen, dass diese jährlich rund fünf Millionen Tonnen CO2 aufnehmen werden (Forestami). Das entspricht dem aktuellen Durchschnittsverbrauch von einer Million Italienerinnen und Italienern. Die Pflanzen könnten damit bis ins Jahr 2030 den CO2-Ausstoss der Bevölkerung (1,4 Millionen) beinahe kompensieren. Um die ehrgeizigen Ziele bis 2030 zu erreichen, muss Mailand 25’000 neue Pflanzen pro Jahr setzen.

Mailand soll noch mehr vertikale Wälder und grosszügige Parks mitten in der Stadt bekommen. (Visualisierung: Stefano Boeri Architetti)

Die grünen Helfer filtern auch rund 3000 Tonnen Feinstaub pro Jahr aus der Luft. Feinstaub entsteht durch die Verbrennung von Benzin, Diesel und Öl (Heizen und Verkehr). Feinstaub ist ein Gesundheitsrisikofaktor, der zu Atemwegserkrankungen und Krebs führen kann. Durch die Lage Mailands südlich der Alpen und die speziellen Windverhältnisse wird der Luftaustausch oft blockiert, die Abgase bleiben an vielen Tagen als Smog über der Stadt hängen. Die dann überschrittenen Feinstaub-Grenzwerte machen Mensch und Tier zu schaffen.

Aus dem gleichen Haus wie der «Bosco verticale» stammt auch der «Fiume verde» (ital.: Grüner Fluss), ein weiteres Grossprojekt zur Begrünung Mailands. Ein Konsortium aus Architekt/innen und Stadtplaner/innen wurde von der Stadt und dem Transportunternehmen FS Sistemi Urbani eingeladen, eine integrierte Vision für die Begrünung Mailands auf sieben brachliegenden Güterbahnhöfen zu erarbeiten.

Auf einer Fläche von 1,1 Millionen Quadratmetern entsteht ein durchgehender grüner Korridor mit ausgedehnten Wäldern, Gärten, Parks, Wiesen und Velowegen. Um allen Bewohner/innen Mailands einen einfachen Zugang zur grünen Lunge zu ermöglichen, wird entlang des grünen Rings eine Bahn gebaut. Es wird geschätzt, dass das Ökosystem des grünen Flusses etwa 50’000 Tonnen CO2 pro Jahr absorbieren und 2000 Tonnen Sauerstoff produzieren kann, was ausreicht, um 300 Tonnen Schadstoffe zu neutralisieren. Aus energetischer Sicht wird dank des Kühleffekts der Pflanzen der Energieverbrauch um 30 GWh/Jahr gesenkt. Das entspricht dem Energieverbrauch von 6250 Mailänder/innen.